Die Meteora-Klöster
Katzen und Kaffee
Sie sind einer von Griechenlands Touristenmagneten – die Meteora-Klöster, UNESCO-Weltkulturerbe, die östlich vom Pindos-Gebirge hinter den Orten Kalambaka und Kastraki auf Sandsteinfelsen kleben. Hier heißt es, den Kopf in den Nacken legen, staunen, die Sinne auf Stille und Gelassenheit schalten. Denn warum errichtete man ab dem 11. Jahrhundert Klöster auf den höchsten aller Felsen, wenn nicht, um dem Trubel unten am Boden zu entkommen? Leider überrollen heute Bustouristenlawinen im Minutentakt die Stille, in den winzigen Kapellen mit herrlichen Fresken verlieren Besucher eher aus Sauerstoffmangel als wegen des Weihrauchs das Bewusstsein. Und doch geben mir die Klöster viel. Dank Katzen und Kaffee.
Dem Himmel so nah
Das griechische Wort „meteorizo“ bedeutet „in die Höhe heben“, und besser könnte man die Position der einst 24 Meteora-Klöster nicht beschreiben. Wenn am Morgen die ersten Sonnenstrahlen die Felsriesen erleuchten, auf deren Spitzen Klöster stecken wie der Stern auf dem Christbaum, bleibt selbst Architektur-Banausen der Mund offenstehen. Wie haben die das damals bloß gemacht, auf den teils 500 Meter hohen, glatten Felsen zu bauen? Wie kamen die Materialen nach oben, wie erreichten die Menschen die Gipfel? Diese Fragen stelle nicht nur ich mir, während ich vor dem ersten der sechs zum Besuch offenstehenden und noch von Mönchen oder Nonnen bewohnten Klöster stehe.
Die übrigen 18 sind zum Teil verfallen, zum Teil zu schwer erreichbar. Heute werden die sechs Hauptklöster von einer asphaltierten Straße verbunden, über die täglich Privat- und Mietwagen sowie Unmengen von Reisebussen rollen. Dann geht es weiter über Treppen, viele Treppen, die zumindest das Beine-Po-Training für eine Woche überflüssig machen. Treppen hatten die ersten Mönche, die sich dort oben niederließen, nicht. Baumaterialien wurden mit Seilen und improvisierten Aufzügen in Form von Winden in die Höhe gezogen, manchmal sogar die Mönche selbst. Oder sie nutzten Strickleitern. Vor allem ab dem 14 Jahrhundert, zum Spätmittelalter in Bestform, entstanden Klöster an den unmöglichsten Stellen.
Was waren das für Menschen, die es sich mit solcher Leidenschaft schwermachten? Im 11. Jahrhundert waren es angeblich Ermiten auf der Suche nach einem asketischen Leben, die sich die Höhlen im Gestein in ein Zuhause verwandelten. Einsiedeleien entstanden, mit der Klause Doùpiani auch ein erstes Kloster. Dann kam im Jahr 1344 der Mönch Athanasios mit einigen anderen vom heiligen Berg Athos in die Meteora-Gegend. Die Jungs waren daran gewöhnt, in Höhlen zu hausen, und so kam Athanasios um 1356 die Idee, das erste und größte – auch heute noch zu besichtigende – Kloster Metamòrphosis zu gründen. Und wie immer, wenn einer eine Idee hat, wird es ihm ein anderer nachmachen. Was nicht unpraktisch war, denn gerade während der osmanischen Herrschaft konnten viele Gläubige nach Meteora fliehen und zumindest dort weiter ihren Glauben praktizieren. Heute wird es immer schwieriger, Nachfolger für Glaubensbrüder- und schwestern zu finden, dafür boomt das Geschäft mit den Touristen.
Klosterwahnsinn
Alle sechs Klöster zu besuchen, ist gar nicht so einfach, denn an fast jedem Tag hat mindestens eins geschlossen, und die Mittagspause, wenn Besucher rausgeworfen werden oder aber vor geschlossenen Toren stehen, dauert etwa zwei Stunden. Den angeblichen Geheimtipp, gleich morgens um neun mit dem großen Metamòrphosis-Kloster zu beginnen, bevor die Busse anrollen, bekommt fast jeder, sodass am Ende der steilen Treppen um neun bereits eine Schlange steht, als würde dort das neueste Ich-phone zum halben Preis verhökert.
Mit einer Gruppe Franzosen werde ich mit buntem Tuch um die Hüften, das Frauen in den Klöstern als Rock dient, durch den Weinkeller geschoben, versuche dann, auf Zehenspitzen und mit gerecktem Hals einen Blick auf die Fresken in der ersten Halle zu erhaschen. Vergebens. Ich begehe die Flucht nach vorne, in einen Innenhof, wo sich zwei weiß-graue Katzen in der Sonne rekeln, als gäbe es die Menschenmassen da draußen überhaupt nicht. Ihre Artgenossen machen es sich vor dem Kloschild gemütlich und genießen die Streicheleinheiten von Touristen mit solcher Wonne, als handele es sich um teure Ganzkörpermassagen. Alles eine Frage der Perspektive. Ich nehme mir die Gelassenheit der Katzen zum Vorbild, und schon kann ich die museumsgleichen Räume voller religiöser Objekte, darunter Ikonen en masse und Holzschnittkunst, mit der inneren Ruhe anschauen, die dem Äußeren fehlt.
Sowohl vom Metamòrphosis-Kloster als auch vom gegenüberliegenden Varlaam fällt der Blick auf ein kleines Kloster, das sich einen Platz im Herzen der Landschaft erobert hat – zwar nicht dem Himmel am nächsten, dafür aber weithin sichtbar im Tal: das Roussanou-Kloster aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Da es so herausstach, wurde es oftmals überfallen und ausgeplündert, im Jahre 1940 sogar ganz aufgegeben. Diese Entscheidung machte man jedoch bereits in den 50er Jahren rückgängig und eröffnete ein Frauenkloster. Erstmals gelingt es mir, in die kleine Kapelle des Klosters zu huschen, ohne aus dem Weg geelbogt zu werden oder dass Beschreibungen in verschiedenen Sprachen auf mich niederprasseln würden. Ein paar Minuten lang umarmt mich die Stille und ich bewundere Fresken, die ich nicht im Detail verstehen muss, um ihr Alter und die Arbeit, die darin steckt, schätzen zu können. Es riecht nach Weihrauch, schummriges Licht streichelt düstere Farben, als wollte es ihnen neues Leben einhauchen. Dann fällt die nächste Gruppe ein und ich werde nach draußen geschwemmt.
Es ist schön, die Straße weiter hinunterzulaufen, denn wer auf die eigenen Füßen setzt statt auf den Bus oder Mietwagen, sieht die Felsen und Klöster aus allen denkbaren Perspektiven. Wird für die Gelassenheit, die dem Klosterinneren jeweils fehlt, dort draußen massenhaft entschädigt.
Dem kleinen Ort Kastraki am nächsten ist Agios Nikolaos Anapafsas, das an diesem Tag die Mittagspause verschlafen zu haben scheint oder aber keine macht – was, wenn man nach der Leere geht, kaum ein Tourist weiß. Eine winzige Höhlenkapelle gleich am Eingang zieht mich an, lädt zum Verweilen auf einer der Holzbänke ein. Ruhe, Stille. Andacht. Gläubige kommen lautlos herein, beten, küssen eine Heiligenikone nach der anderen. Immer in derselben Reihenfolge. Ich schaue fasziniert zu, steige erst später die vielen Stufen zum oberen Heiligtum mit Glockenturm und Holzbrüstungen hoch. Was den schöneren Weitblick bietet, doch die Beschaulichkeit der Höhlenkapelle fehlt.
Kaffeeklatsch
Immer wieder lese ich in Reisebüchern, dass es die Langsamkeit auf Reisen ist, welche die bleibenden Erinnerungen schafft. Lange hat diese Einsicht gebraucht, um auch in meinem Kopf anzukommen, lange Zeit hakte ich Quantitäten an Highlights ab, hetzte durch Städte und Landschaften, als müsste ich den Reiseführer der Welt mit Deadline Übermorgen neu schreiben. Diese Zeit ist vorbei. Vier von sechs Meteora-Klöstern an einem Tag sind schon viel, doch die Massen, Lärm und Unruhe laden fast nirgends zum Bleiben. Wieder fühle ich mich auf dem Weg am wohlsten, auf den Kilometern, die Agios Nikolaos von Kastraki trennen. Säße ich im Bus oder Auto, wäre ich wohl achtlos vorbeigebraust an den vielen bunten Punkten, die hier und dort in den grauen Felsen auftauchen. Punkte, die sich mühsam in die Höhe ziehen. Kletterer, die es den Mönchen, die einst die Felskuppen zu ihrer Heimat machen wollten, gleichtun. Wahrscheinlich hätte ich auch nicht die Höhle auf halber Höhe in einem Felsen entdeckt, geziert von Unmengen bunter Tücher und zwei griechischen Flaggen. Was es wohl damit auf sich hat?
Würde ich schnell machen wollen, würde ich nicht meinem Sehnen nach einem Kaffee nachgeben, würde mich nicht auf die nächstbeste Terrasse setzen wollen, wo zwei ältere Männer und ein jüngerer Mann über mehreren Bierflaschen lachen und durcheinanderreden. Als sie mich näherkommen sehen, verstummen sie, dann lädt mich der Älteste mit großzügigen Gesten ein, doch gleich an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Englisch? Deutsch? Wunderbar, er habe lange Jahre in Deutschland gelebt, habe die Sprache nie ganz vergessen. Der zweite Mann haut mir kumpelhaft auf die Schulter, spricht gebrochenes Englisch und fließendes Italienisch. Bald ist es, als hätte ich mal wieder beim Stammtisch mit alten Freunden vorbeigeschaut. Der Cafébesitzer plaudert über sein Leben in Deutschland, sein Kumpel stellt sich als Lambros vor – Lambros der Bergführer. Wie es sich für seinen Job gehört, übernimmt bald er das Wort. Ich weiß nicht, ob es dem Bier zu verdanken ist oder einem echt glücklichen Leben, aber Lambros‘ Augen strahlen so, dass er selbst ohne zu lächeln glücklich aussieht.
Er deutet auf die Felsnadeln hinter uns. „Kannst du dir vorstellen, dass das 60 Millionen Jahre alte Felsformationen sind? Mutter Natur! Ich lebe für die Natur, muss immer draußen sein, sonst gehe ich ein. Bevor ich in die Berge gehe, küsse ich den Boden, aus Dankbarkeit, dass ich dort sein darf und als Gebet, dass ich sicher wieder zurückkomme.“ Innerhalb einer Stunde decken wir viele Themen in drei Sprachen ab – Freundschaft, von der Lambros überzeugt ist, man könne nie mehr als fünf wahre Freunde haben, und das sei schon richtig viel. Es geht um Menschen, die er allesamt liebt, egal, welche Hautfarbe und Herkunft, denn für ihn seien sie alle Teil der Natur.
Mir fällt wieder die Höhle mit den bunten Tüchern ein, ich frage Lambros danach. „Es war an einem 23. April während der osmanischen Herrschaft, dass ein Kapitän der Türken sich beim Holzhacken dass Bein aufriss. Seine Frau versprach dem Heiligen Sankt Georg, der über die Höhle wacht, ihr wertvollstes Kopftuch, falls er ihren Ehemann heilte. Das Bein des Kapitäns heilte, dessen Frau schenkte St. Georg ihr Kopftuch.“ Noch immer sei es Tradition, jedes Jahr am 24. April in die Höhle hochzuklettern und ein altes gegen ein neues Kopftuch auszuwechseln – wer mitmache, dürfe ein altes Tuch behalten. Am Ende fährt mich Lambros nach ein paar weiteren Bier in Schlangenlinien zurück nach Kalambaka. Er drückt mir seine Karte in die Hand, sieht mich mit seinen fröhlichen Augen lange an. „Wenn du jemals was brauchst, ruf mich an. Denn denk daran: Wer Freunde hat, ist reich.“
Klosterfinale
Auch am nächsten Tag wähle ich wieder die langsamste Fortbewegungsart in Meteora – laufe den etwa vier Kilometer langen Waldweg, der dort beginnt, wo die engen Straßen Kalambakas enden, an vielen bizarren Felsformationen und Alpenfeilchen vorbei bis zum Ende, wo die Stufen zum Kloster Ag. Triada in die Höhe führen. Das Kloster, das wohl ab 1458 errichtet wurde, ist nicht nur der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet und gilt heimlich als schönstes der Klöster: Es ist auch der Spielort von dem James Bond Film „In geheimer Mission“ aus dem Jahr 1981. Kein Wunder, denn es balanciert auf einem besonders exponierten Steilfelsen. Die Treppe nach oben ist noch relativ neu, wurde erst 1925 gebaut, bis dahin gelangten Mönche und Waren nur über Strickleitern oder per Seilwinde ins Heiligtum. Zu aller Überraschung ist es ruhig im Inneren, als wären sämtliche Touristengruppen verschluckt worden. Wieder sitze ich minutenlang in der freskenverzierten Kapelle, atme die alten Wände ein, stelle mir die Mönche vor, die hier beten, erhaben über die Nichtigkeiten der Welt weit unter ihnen.
Ein großes weißes Kreuz säumt den vordersten Punkt der Felsspitze, von wo sich der beste Blick auf die Felsen der Umgebung und die Klöster Metamòrphosis, Varlaam und Roussanou eröffnet. Nur das letzte Kloster, Ag. Stefanos, versteckt sich hinter einem Felsvorsprung, dabei ist es einen kurzen Spaziergang von Triada entfernt. Ag. Stefanos aus dem 12. Jahrhundert war lange Zeit Zuhause von Mönchen, doch in den 1960ern übernahmen Nonnen. Selbst wenn man es nicht wüsste, könnte man leicht raten, welches neben Roussanou das zweite von Frauen bewohnte Kloster ist: Bereits am Eingang umweht Besucher der Duft nach prächtigen rosa Rosen, das Amuse-bouche zum gepflegten Garten, der im Inneren folgt. Ich setze mich auf eine Mauer vorm Garten, verführt von den Düften der Pflanzen. Eine rote Katze schreitet heran, platziert sich auf meinem Schoß und würde dort wohl noch immer sitzen, wenn nicht eine Glocke zur Mittagspause geläutet hätte.
Auch wenn mich die Fülle in den Klöstern oft genervt hat, hat mir Meteora etwas beigebracht: es den Katzen gleichzutun, die sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen, neugierig und ohne Eile herumzustreichen, und bei gutem Bauchgefühl nicht nein zu sagen zu einem Kaffeeplausch mit Fremden. Denn am Ende sind es die Katzen und der Kaffee, die mir von Meteora bleiben werden.
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