Ich bin dann mal wieder da
Als Rückkehrerin in Deutschland von Bernadette Olderdissen
Wie kann man sich bloß freuen, wieder in Deutschland zu sein? Als Rückkehrer? Und dazu noch Rückkehrer aus dem Süden? Nein, nein, das geht ja gar nicht. Die Devise lautet doch „Bloß weg!“, „Raus hier, egal wohin“ und ‚Soweit weg wie möglich.“ Möglichst nach Süden. Alle wollen doch nach Süden, sogar die Zugvögel machen sich gerade wieder auf den Weg dorthin. Ja, weg und nach Süden, das ist normal, sowas sollte man wollen. So viele teilen das „Alles-hier-ganz-schrecklich-finden-Syndrom“. Es geht um die Flüchtlingskrise, die Finanzkrise, die Lebens- oder sonst was für eine aktuelle Krise, um zu hohe Steuern, zu kleine Gehälter, zu viele Wolken, zu wenig Sonne, zu viel Kälte, zu wenig Wärme, zu wenig dies, zu viel das, nur das Richtige ist nie dabei. Feststeht: Woanders ist alles besser. Vor allem im Süden. Natürlich.
Und ich?
Ich dachte das auch. Aber klar dachte ich das! Vor sieben Jahren, als auch ich wegwollte. Weg musste. Und ehrlich gesagt? Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Wer ständig von dem Gefühl beherrscht wird, mal raus zu müssen, sollte verdammt nochmal auch gehen. Und zwar besser heute als morgen. Denn nur so kann er herausfinden, ob es wirklich anderswo so viel besser ist. Oder was besser ist – und was vielleicht schlechter.
Nach vielen Jahren hier und dort wünschte ich, ich könnte von jedem Ort das Beste mitnehmen und das Beste von allem zu einem neuen, vollkommenen Ort zusammenbasteln. Zum Beispiel die Fähigkeit der Kolumbianer, jede noch so vertrackte Situation hoch erhobenen Hauptes zu meistern. Die Ausdrucksstärke der Italiener, die keine Notwendigkeit kennen, alles in sich hinzufressen, sei’s Freude, Leid oder Ärger. Die unverhohlene Neugier der Koreaner dem Fremden gegenüber. Die Selbstverständlichkeit der Franzosen, echt stolz zu sein auf all das, was in ihrem Land gut und schön ist. Leider kann ich keinen solchen neuen Ort schaffen. Ich kann nur neue Puzzleteilchen in mein eigenes Leben einfügen und meine Perspektivenwegweiser verrücken. Und letzten Endes reicht das auch.
Etwas bleibt, viel kommt mit
Ich habe einiges zurückgelassen an den Orten, wo ich gelebt habe oder an die ich gereist bin. Aber ich habe noch mehr mitgebracht (nein, ich rede nicht von neuen Schuhen im Koffer). Vor allem Bewusstsein. Das Bewusstsein, dass es dort draußen verdammt viel zu sehen und erleben gibt – und unglaublich viel Schönheit. In der Natur. Kultur. In Menschen. Aber auch das Bewusstsein, dass es da draußen genauso viele Probleme gibt. Meine Sichtweise ist nicht mehr dieselbe, nachdem ich in Kolumbien ganz schön nah an einer Touristen-Entführung dran war. Nachdem ich durch Slums gekrochen bin und Beziehungen zu Menschen dort aufgebaut habe. Seitdem ich den italienischen Bürokratiedschungel jenseits der Mittelmeerstrände und von bella Roma durchlitten habe. Seitdem ich an der Grenze der beiden Koreas dem ‚kommunistischen Feind‘ ins Auge gesehen habe. Nachdem ich über Jahre in Frankreich beobachtet habe, wie sich Marine Le Pen in den Köpfen von immer mehr Franzosen einnistet. Die Lektion ist so einfach: Woanders ist’s auch nicht perfekt. Aber es ist Quatsch, davon zu erzählen. Die Leute glauben einem eh nicht.
Vielleicht ist es diese Lektion, die mich ganz entspannt zurück sein lässt. Ohne aufsteigenden Frust. Ohne das Gefühl, gescheitert zu sein oder eine große Dummheit begangen zu haben, dass ich mitten in einem grauen Herbst nach Deutschland zurückkehre. Noch dazu in den Norden!
Nordseekrabben und ein neuer Wind
Vor Kurzem saß ich am Hamburger Hauptbahnhof und aß eine Ofenkartoffel mit Nordseekrabben. Ich hatte noch nie Nordseekrabben gegessen. Früher fand ich das würmchenartige Zeug ekelig. Das war, bevor ich fleischige Riesenmuscheln in Korea aß. Frösche in Malaysia. Alpacas in Peru. Schnecken aus ihren Häusern in Frankreich pulte. Ich hatte noch gut eine halbe Stunde Zeit, bis mein erster Deutschkurs in Hamburg beginnen würde. Ich dachte über mein Leben nach, darüber, dass ich zum ersten Mal seit einigen Jahren kein ‚unbefristet‘ mehr auf einem Vertrag stehen haben würde. Dass ich zum ersten Mal in meinem Leben voll freiberuflich arbeiten würde. Mit allen Freiheiten und Einschränkungen. „Bescheuert“ nennen es einige, „mutig“ andere. Ich nenne es gar nicht, lasse es einfach auf mich zukommen. Und gerade in diesem Moment, als mir so richtig aufging, dass ich nun gleichzeitig frei und trotzdem ‚beruflich‘ sein würde, spielte ein neuer Hit im Radio über mir an. Ein Hit, der schon seit Monaten aus meinem Handy plärrt und seit Jahren in meinem MP3-Player wohnt. Ein Hit über einen Wind, der mir öfters um die Nase bläst und gerade wieder besonders stark aufgekommen ist. Der „Wind of change“. Dass dieser Wind mich eines Tages wieder nach Deutschland zurücktragen würde, hätte ich nie gedacht.
Und jetzt, bin ich zur großen Patriotin geworden und will nie wieder weg? Im Gegenteil. Ich bin dem Land gegenüber, in dem ich nun mal aufgewachsen bin, genauso kritisch wie immer. Bin mir seiner Mäkel genauso bewusst wie vor sieben Jahren – aber auch seiner Stärken. Und ich bastele schon wieder an meinen nächsten Reisen. Denn: Die Vielzahl an Billig-und anderen Fliegern in alle Welt ist ab Deutschland im Vergleich zum ‚Süden‘ einfach fantastisch. Ich könnte mir im Moment kein besseres Sprungbrett in die Ferne vorstellen. Und keinen besseren Job zum Reisen als meine freie Beruflichkeit. Und wenn ich zwischen den Reisen tatsächlich mal zu Hause bin, im oft regnerischen Hamburg, dann kommt die Welt zu mir. In Form von Schülern aus allen Teilen der Welt, mit Geschichten, die erzählt werden wollen. Geschichten, mit denen ich auch in einem Hamburger Klassenzimmer hinaus in die Welt ziehe und die sich irgendwie mit meinen eigenen verbinden. Denn ich war dort draußen. Sehr oft. Und ich werde immer wieder losziehen. Und dazwischen ist es okay, erstmal wieder da zu sein, versöhnt mit einem doch gar nicht so üblen Land.
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