Australiens Kangaroo Island
South Australias Insel der Tiere
Kangaroo Island kann man sich wie einen riesigen Zoo mit Kängurus, Koalas, Seelöwen und vielen anderen Vierbeinern und Kriechern vorstellen – nur, dass die Tiere vollkommen frei und überwiegend in Frieden leben. Auf einer Insel, die ungefähr so grün ist wie Irland und so rau-felsig wie das Kap der Guten Hoffnung. Mit karibisch anmutenden Stränden und einer kleinen Sahara. Kurzum: Ich habe Viecher lange nicht mehr so beneidet.
Frühmorgens, wenn die Kängurus erwachen
Es ist noch dunkel, als Mark von Groovy Grape Getaways die kleine Gruppe gegen fünf Uhr in der Früh in Adelaide einsammelt. Mark, das ist ein Australier Anfang 60 wie aus dem Australienbilderbuch geschnitten. Ein stattlicher Outback-Fritze, dem der Aussie-Hut steht wie dem Banker Anzug und Krawatte. Sein Akzent ist breit, alle Mädels werden sofort zu „doll“ oder „love“. Im pastellfarbenen Licht der fast aufgehenden Sonne geht es los nach Süden in Richtung des etwa 110 Kilometer entfernten Cape Jervis auf der Fleurieu Halbinsel.
„Dies ist ein Moment, wenn die Kängurus noch aktiv sind und nach Nahrung suchen“, erklärt Mark. Und tatsächlich: Auf den in der goldenen Sonne dösenden Feldern, die wie Wellen auf den Horizont zulaufen, springen sie. Ich bin noch neu in Australien, kann mich immer noch nicht an den Hüpfern sattsehen, die für die Jugendlichen in meiner Gruppe, die bereits seit einem Jahr Work & Travel machen, bereits das Niveau stinknormaler Feldmäuse zu haben scheinen. Springt ein Muttertier los, folgt ihm das Kleine auf dem Absatz.
Noch gibt es nur einen einzigen Fährbetreiber rüber auf die 13 Kilometer vom Festland entfernte Kangaroo Island, Australiens drittgrößte Insel – den Sealink. Entsprechend teuer sind die Überfahrten, doch laut Mark wird es bald eine neue Verbindung geben, was die Hin- und Rückfahrt auf 50 AUD reduzieren soll. Bevor es auf die Fähre geht, gibt es viel zu tun: Alle Koffer und Kisten voller Proviant müssen vom Bus in einen Spezialanhänger für Gepäck verladen werden, der Bus muss leer aufs Schiff. Die Frage nach dem Warum bleibt wie so oft offen.
Mehr Tiere als Menschen
Etwa 4.500 Menschen sollen auf Kangaroo Island leben, Tiere sind es sehr wahrscheinlich mehr. Schon bei der Ankunft fährt die Insel einen weißen Sandstrand und karibisch blaues Meer auf, nur, dass es ein ganz bisschen kühler ist – vor allem im April, dem südaustralischen Herbst. Und die Schönheit ist nicht postkartenglatt wie an vielen Stellen der Karibik, sondern vom Pazifik aufgerieben und wundgescheuert.
Mark hält uns an, in dem kleinen Ort Penneshaw am Fähranleger ordentlich Alkohol fürs „Barbie“ – BBQ – am Abend einzukaufen, denn danach ist mit Shoppen Sense. Oder zumindest gibt’s nur noch Honig oder alles, wo man Honig reinpacken kann, wie zum Beispiel Eis und Seifen – am Honey Beehive, der Bienenhütte- oder farm von Peter Davis. Der gebürtige Kangaroo Islander war einer der ersten Erzeuger organischen Honigs in Australien und gehört nun zu den größten mit etwa 100 Tonnen produziertem Honig pro Jahr. Dabei soll das Erbe der ligurischen Honigbienen, die für das klebrige Gut zuständig sind, geschützt und gefördert werden.
Nach der Bienenkönigin ist das erste Tier, das ich erspähe, leider kein Känguru, dafür aber eine sich frech auf der Straße sonnende Eidechse. Schon bald ist von Straße nicht mehr zu reden, als Mark in eine rotsandige Off-road einbiegt und vor einem Billabong in die Eisen geht, vor dem ein Tisch und Bänke auf Picknicker warten. „Billabong stammt aus der Aborigines-Sprache und bedeutet eine Art Wasserloch, das sich in der Regenzeit füllt und danach wieder austrocknet“, erklärt Mark. Billabongs sind damit eine wertvolle Wasserstelle für Tiere.
Einer, den das Wasser gar nicht juckt, ist ein Koala, der zwischen Zweigen hoch im Baum klemmt und uns in bester Leckt-mich-am-Arsch-Manier den Allerwertesten zeigt. Dass Koalas nicht besonders durstig sind, verstanden schon die Aborigines, denn in ihrer Sprache bedeutet „Koala“ in etwa „ohne Wasser“. „Koalas fressen Eukalyptus-Blätter, und die stecken voller Wasser“, weiß Mark. Nun bin ich bis zu diesem Tag davon ausgegangen, dass Faultiere die faulsten Tiere der Welt sind, mit etwa 16 Stunden Schlaf pro Tag. Jetzt aber lerne ich, dass ein Koala sogar an die 20 Stunden schlafen kann. Das spart Energie, denn einige davon braucht ein Koala für seine Verdauung. Da im Eukalyptus viel Zucker, Eiweiß, Stärke und Fett enthalten ist, gestaltet sich die Verdauung äußerst langsam. Ich stelle mir vor, dass sich die kuscheligen Tierchen also ständig so fühlen wie unsereins nach einem Mittagessen mit Eisbein, Schweinshaxe, Kartoffeln und obendrauf Schwarzwälder Kirschtorte.
Der Seelöwen-Strand
Es fühlt sich schon ein bisschen sonderbar an, an einem Strand zu stehen, an dem sich statt Menschen Seelöwen in der Sonne wälzen und wo statt Kindern Seelöwen in den Wellen planschen. Passenderweise heißt die Bucht auch Seal Bay und ist Teil eines Nationalparks, wo ein Schutzprogramm unter anderem Recherche über die australischen Seelöwen umfasst, eine von sechs überlebenden Seelöwenarten der Welt. Zum Strand darf man nur mit einem Naturschützer, der aufpasst, dass sich Fotografiesüchtige den Tieren nicht zu weit nähern oder sonstigen Unfug treiben. „Eine der größten Gefahren für die Seelöwen sind Fischer, denen sie versehentlich ins Netz gehen“, erklärt der Guide. Bis in die 1950er seien die Tiere sogar als Hai-Köder missbraucht worden.
Völlig ungerührt von den wenigen Besuchern am Strand gehen die Seelöwen ihrem Alltag nach. Ein besonders aktives, schwangeres Weibchen, das gerade aus dem Meer steigt, stupst ihren schlafenden Kumpel an, empfängt ein genervtes Grunzen und wirft sich resigniert neben ihn in den Sand. Ein protziges Männchen, welches das Seelöwen-Äquivalent von zu viel Bier intus zu haben scheint, brüllt ein hübsches, schlankes Weibchen wie bei einem ausgearteten Ehestreit an. Und das Weibchen lässt den Schreihals wie eine abgebrühte Ehefrau vollkommen links liegen. Wieder was gelernt: Egal ob Mensch oder Seelöwe, was ein Kerl zu stänkern hat, geht zum einen Ohr rein, zum anderen raus.
Die Nacht auf der Farm
Übernachtet wird in der Flinders Chase Farm direkt am Flinders Chase Nationalpark, einer Working-Farm, wo viele junge Leute aus aller Welt im Rahmen ihres Work & Travel-Programms gelandet sind. Mittlerweile trauert der Himmel aus voller Wucht auf uns hinab, und mir tun die klatschnassen Kids leid, die verschlammt und durchgefroren von der Kartoffelernte heimkommen. Die meisten von ihnen schlafen in mehrbettigen Dorms, aus denen nach ein paar Stunden ein eindeutig definierbarer Rauchgeruch strömt. Man muss wohl bei so viel schwerer Arbeit auf andere Gedanken kommen.
Mark schmeißt unterdessen das Barbie an. Wir schnippeln das Gemüse dafür, er filetiert Känguru,- Rind- und Huhnfleisch. Wir sitzen in der offenen Wohnküche, die aus einem langen Holztisch und Bänken besteht, und laben uns am frisch Gegrillten, während es auf Deubel komm raus aufs Wellblechdach prasselt. „Eigentlich wollte ich noch mal mit euch raus und Kängurus gucken“, bedauert Mark. Da die Tiere nachtaktiv seien, sei dies der beste Moment, sie zu beobachten. Als sich eine erneute Lawine übers Dach ergießt, verzichtet auch der Letzte, der noch etwas Motivation zum Känguru-Gucken verspürte, auf dieses feuchte Vergnügen. Erst viel später, als sich die meisten schon in ihren doppelstöckigen Betten verkrochen haben, hüpft noch ein Wallaby wie selbstverständlich in den Raum, schleckt aus der Hundewasserschale und macht sich von dannen.
Go West
Um 6.30 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, zwingt mich meine Blase zum Toilettengang draußen. Schlaftrunken schaue ich rüber zu einigen weißen Bettlaken, die ein paar Meter weiter im Wind schwingen. Und glaube, meinen Augen nicht zu trauen: Zwei Kängurus hüpfen zwischen den Tüchern umher, suchen auf dem Boden Futter. Sie starren mich an, als hätte ich nun wirklich nichts an ihrer Wäsche verloren, entscheiden dann aber doch, die Laken im Stich zu lassen. Ich laufe über die Felder in der Hoffnung, noch weitere Kängurus zu sehen, und tatsächlich hüpft es ab und zu im Gebüsch, doch Modell-Allüren für meine Kamera verspürt keines von ihnen. Anders als die feuerrote Sonne, die wenige Minuten später hinter den Wiesen über den Horizont lugt und den Tag so sanft einläutet, als hätte es den Prasselregen vom Vorabend niemals gegeben.
Nach Pancakes, die uns Mark ebenfalls auf dem Barbie backt, geht es raus zum Flinders Chase Nationalpark, wo wir auf dem Koala Walk hoffen, weitere der nicht ganz so kuscheligen Kuschelbären und Kängurus zu sehen.
Die ersten Koalas lassen nicht lange auf sich warten, scheinen an diesem Morgen sogar richtig aktiv, indem sie sich an Ästen hochziehen und nach Eukalyptus-Blättern greifen. „Das ist normal nach dem Regen“, meint Mark. Mir fällt sogleich der eine oder andere Mitmensch ein, dem ich gern ein paar Eimer Wasser über den Kopf schütten würde, um zu sehen, ob dies einen ähnlichen Aktivitäts-Flash auslöst.
Auch zahlreiche Kängurus sind munter am Futtern, ihr dunkles, leicht zausiges Fell strahlt in der Sonne. „Die Inselkängurus sind eine Unterart des Western Grey Kängurus“, erzählt Mark. „Wegen der Isolation haben sich die Tiere hier etwas anders entwickelt, sie sind kleiner, dunkler und haben längeres Fell als die Kängurus auf dem Festland.“ Was für ein Privileg, diesen so typisch australischen Tieren aus nächster Nähe beim Fressen zuzuschauen! Besser als jeder Piep, der aus meiner heimischen Glotze tönt.
Der Westen rund um den Flinders Chase Nationalpark ist der meistbesuchte Teil der Insel, und das aus gutem Grund: In der Nähe des Cape du Couedic Leuchtturms führt eine lange Treppe die Klippen hinunter, vorbei an Felsen, auf denen sich sogenannte langnasige Pelzrobben aalen, zum Teil mit Jungen. Doch das ist nicht mal das Highlight – als dieses gilt der Admirals Arch, ein von Meer und Wind ausgefranst wirkender Torbogen unten in den Klippen, vor dem sich jeder Kangaroo-Island-Tourist einmal ablichten lassen muss.
Ähnlich turbulent geht es an den zehn Fahrminuten entfernten Remarkable Rocks zu, den bemerkenswerten Steinen. Und bemerkenswert sind sie wirklich, die fast rotfarbenen Granitfelsen, an denen seit 200 Millionen Jahren die Zeit nagt, und das direkt über dem tosenden Meer. Kein einfaches Schicksal. Und doch! Wie bei allem und jedem, der zu kämpfen hat und an dessen Oberfläche sich dieser Kampf wiederspiegelt, finde ich die Felsen von berauschender Schönheit und Einzigartigkeit. So viel schöner als etwas, das noch glatt und frisch ist, denn diese Felsen haben etwas zu erzählen. Sie werfen den Motor meiner Fantasie an, sind gleichzeitig rau und an anderer Stelle babyposanft. Besuchermagnet oder nicht – dieser Ort wird zu einem meiner liebsten auf der Insel.
Happy End
Beim Mittagessen-Picknick werden wir dieses Mal von hungrigen Wallabys und Kängurus umlagert, die wie Straßenköter auf etwas Essbares, das abfällt, hoffen. Wahnsinn! Füttern sollte man sie trotzdem nicht.
Ich bin bereits vollkommen erfüllt von den Naturwundern dieser Insel, doch die Kids wollen alle noch eins – zur Little Sahara. Das sind Sanddünen bei Vivonne Bay, die sich über etwa zwei Quadratkilometer erstrecken. Dort ist Sandboarden oder Sandsurfen angesagt.
Na gut, nach meinem Vulkan-Boarden in Nicaragua ist das hier natürlich Peanuts, aber ich versuche es trotzdem mal. Der kleine Sandhügel erinnert mich an die schneereichen Hügelabfahrten im Bergischen Land auf meinem Kinderschlitten, nur, dass es da etwas rasanter voran ging. Auf dem noch regennassen Sand bewegen sich die Boards, als hätte man sie zuvor über Asphalt voller frisch ausgespuckter Kaugummis gezogen. Mit ein wenig Schwung geht es bei mir dann doch irgendwann nach unten, manches Kid hat das Nachsehen.
Sandig und glücklich sitze ich wieder auf der Fähre. Ich könnte noch viele Tage mehr auf Kangaroo Island verbringen, an diesem magischen Ort, wo die Natur noch der Boss ist. Trotz vieler Besucher. Ich wünsche der Insel, dass das noch lange so bleibt. Denke dabei an die trägen Koalas, an Kängurus zwischen frischer Wäsche, an das streitende Seelöwenpärchen. Hinterm Pazifik geht die Sonne unter, ich lächle ihr nach und proste ihr mit einem Honigjogurt-Drink von der Bienenfarm zu. Auf viele, viele weitere Tage wie diese.
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